Prof. Dr. Neitzel – Deutsche Kriege

Der in Potsdam lehrende Historiker Sönke Neitzel beleuchtet die deutsche Militärgeschichte von 1871 bis in die Gegenwart. Wir sprachen mit Ihm zum Erscheinen seines neuen Buches.
Herr Prof. Dr. Neitzel, Ihr neues Buch trägt den Namen „Deutsche Krieger“- was zeichnet ihn aus- den deutschen Krieger?
Den deutschen Krieger hat es in der Zeit von 1871 bis heute sicher nicht gegeben, zumal es ja unendliche viele Subkulturen gab. Gleichwohl: Bis 1945 war der German Way of War durch eine ausgesprochene Offensivkultur geprägt, gedacht als taktische Lösung für die strategische Unterlegenheit in den damaligen Mächtekonstellationen. Dementsprechend galten Initiative, Vorwärtsdrang aber auch eine hohe Verantwortung der unteren Führungsebenen als typisch deutsche Eigenschaften. Und dieses Bild prägte dann auch die interne Vorstellung, wie etwa ein Panzer- oder ein Infanterieoffizier zu sein hatte. Diese Vorstellung lebte übrigens in der Bundeswehr des Kalten Krieges in den Kampftruppen des Heeres nur wenig abgeschwächt weiter. Und auch heute wird dieses Bild auf Schulen der Kampftruppen durchaus noch gelehrt, aber die Verhältnisse der Einsätze sind natürlich ganz andere. Und obwohl die heutigen „Krieger“ aus einer anderen Gesellschaft kommen als vor 75 oder 100 Jahren, gibt es immer noch einen deutschen „footprint“. Die Art und Weise, wie deutsche Soldaten das Gefecht „denken“ und führen, ist anders als in Großbritannien oder Italien.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Militärgeschichte und Soldaten- worin unterscheidet sich die Bundeswehr hauptsächlich von anderen Armeen?

Die Kultur der Wehrmacht war durch eine Entgrenzung der Gewalt geprägt, die der Bundeswehr von der Begrenzung. Die Bundeswehr hatte ja einen völlig anderen rechtlichen Rahmen, sie war wirklich eine andere Organisation. Zudem: Die Bundeswehr hatte sich mit einer doppelten Ambivalenz auseinanderzusetzen, die es zuvor so nicht gab: denkt man die Armee vom Frieden oder vom Krieg her und: knüpft man an Vergangenes an oder grenzt sich davon ab. Bis heute sind diese Fragen nicht wirklich gelöst und sind Gegenstand von teilweise heftigen Diskussionen und auch von Skandalen.  Vor 1945 gab es diese Ambivalenzen nicht. Niemand stellte – auch nicht im Ausland – in Frage, dass man Streitkräfte vom Krieg her denken musste und jeder berief sich bei der Traditionsbildung ungebremst auf die früheren Epochen. Andere Zeit eben.

 

Sie selbst waren 1987 als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr, hätten Sie sich selbst als Krieger, oder Kämpfer bezeichnet?

Kaum ein deutscher Soldat des 20. Jahrhundert dürfte sich selbst als Krieger bezeichnet haben. Der Begriff ist eine Fremdzuschreibung und so wird er auch heute noch verwendet. Man denke nur an den brillanten stern-Essay „Drei Krieger“ aus dem Jahr 2010. Ergo: Ich habe mich schlicht als Soldat gefühlt. Alles andere wäre als Tankwart in der beschaulichen Manteuffel-Kaserne in Hofgeismar ja auch lächerlich gewesen.

Das Historische Institut der Universität Potsdam ist nicht weit entfernt vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr- wie sehen Sie die Einätze der Bundeswehr im geopolischen Kontext?

Ich sehe diese Einsätze in doppelter Hinsicht sehr kritisch: Einerseits weil die Bundesrepublik strategielos ihre Streitkräfte nach Afghanistan und nun nach Mali schickt, wobei es letztlich nie um die Afghanen oder die Malier, sondern immer eine politische Logik hier in Deutschland geht. Zudem lernt man zu wenig aus den Fehlern bei früheren Auslandseinsätzen. Es gibt nach wir vor viel zu wenig cultural knowledge über die Länder und es ist einigermaßen beschämend, dass bis heute – fast 20 Jahre nach Einsatzbeginn – praktisch kein deutscher Offizier eine der afghanischen Landessprachen spricht. Und mit der Kulturkompetenz im Irak sieht es ja leider ähnlich bitter aus. Andererseits setzt die Bundesregierung alles daran, sich aus Kampfeinsätzen möglichst herauszuhalten. Dagegen ist ja prinzipiell nichts zu sagen, aber zuweilen nimmt es doch groteske Züge an. In Afghanistan schickte man Soldaten in den Einsatz, denen man im übertragenen Sinne einen Arm auf den Rücken gebunden hatte. Und im Kampf gegen den IS macht man: Fotos. Wenn man keine Soldaten will, ja dann hätte man doch gleich – wie etwa die Türkei – die PRT’s in Afghanistan ausschließlich zivil besetzen können. Man muss es leider so deutlich sagen: Europa ist sicherheitspolitisch ein Zwerg und dies liegt auch an Deutschland. Man kann sich ja als Zivilmacht definieren, aber dann sollte man gezielter, früher und massiver Entwicklungshilfe leisten und nicht – wie in Afghanistan und Syrien – mit dem großen Geldwums immer zu spät kommen.
Vielen Dank.
(Beitragsbilder: Neitzel)

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