Der neue Schwere Transporthubschrauber (STH), ist eines der notwendigsten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr. Es gibt in diesem laufenden Wettbewerb mit dem Boeing CH-47F CHINOOK und dem Sikorsky CH-53K nur zwei Bieter.
Wir sprachen mit Tim Paul, Rheinmetall Head of Sales Aviation Service, über das Produkt, den Sachstand und Vorurteile gegenüber der Sikorsky CH-53K „King Stallion“. Rheinmetall Aviation Service ist exklusiver Partner von Sikorsky und für die Anteile Betrieb, Wartung und Ausbildung verantwortlich.
ZL: Herr Paul, wie ist der Sachstand der Entwicklung und Zertifizierung in den USA für das US Marine Corps? Welche Leistungsparameter soll die CH-53K am Ende erreicht haben?
Paul: Wir sehen mit großer Freude, dass die CH-53K in den USA inzwischen alle wesentlichen Tests und Zertifizierungen durchlaufen hat. Die US-Marines können sich freuen, den modernsten, leistungsstärksten, aber auch intelligentesten Schwerlasthubschrauber in Zukunft einsetzen zu können. Der Hubschrauber entstammt ja der in den deutschen Streitkräften bekannten und bewährten CH-53-Familie und baut auf diesen Erfahrungen auf. Aber seine Funktionalität orientiert sich an zukünftigen Einsatzszenarien und Herausforderungen. Das ist das Alleinstellungsmerkmal der CH-53K im Wettbewerb!
ZL: Welche zukünftigen Fähigkeiten sind angedacht, aber derzeit noch nicht Teil der Zertifizierung, z.B. Manned-Unmanned Teaming, oder eine Fernbedienung (Remote Piloted Aircraft)?
Paul: Die CH-53K bietet bereits heute enormes Aufwuchspotential für die nächsten Jahrzehnte und ist durch die digitale Avionikstruktur, hohe Rechenleistung und Übertragungsbandbreite der verbauten Systeme sehr gut für die Integration zusätzlicher Fähigkeiten vorbereitet. Geplant sind hierbei für das USMC unter anderem im Bereich Manned-Unmanned-Teaming (MUM-T) der integrierte Austausch von Sensordaten zur Aufklärung und Erkundung von Landezonen, sowie der Einsatz im Verbund mit unbemannten Luftfahrzeugen („Unmanned Airborne MULES“), die Seite an Seite mit bemannten Luftfahrzeugen operieren und die Versorgung aus der Luft in verschiedenen Bedrohungslagen sicherstellen können. Die CH-53K bietet durch die bereits heute verbaute Sensorik und die Fly-by-Wire Flugsteuerung ideale Grundlagen für den Einsatz als Optionally-Piloted-Vehicle (OPV). So wird es in der Zukunft möglich sein, Missionen die es nicht zwingend notwendig machen Soldaten an Bord des Hubschraubers zu haben, autark zu fliegen. Was im Umkehrschluss auch heißt, dass man die Wahl hat, ob man Soldaten in eine risikohafte Mission entsendet.
ZL: Gibt es Fähigkeiten der CH-53K, die Sie für besonders sinnvoll für den deutschen Kunden erachten und die CH-53K sich abhebt vom Wettbewerb?
Paul: Die CH-53K übererfüllt sogar in vielerlei Hinsicht die Anforderungen des STH-Wettbewerbs. Das liegt darin begründet, dass wir es nicht mit einem nur technologisch überholten Helikopter zu tun haben. Die CH-53K ist vielmehr für militärische und humanitäre Einsätze der Zukunft entwickelt worden. Zwei Beispiele: Der Laderaum ist so groß und entsprechend ausgerüstet, dass die 463L / HCU-6/E Luftfrachtpaletten transportiert werden können, die auch in der C-130J und im A400M Verwendung finden. Durch diese Interoperabilität ergibt sich ein enormer logistischer Vorteil: Die CH-53K kann Ladungen schnell übernehmen und dorthin fliegen, wo ein Transportflugzeug nicht mehr hinkommt. Oder schauen wir auf die Rotorfaltanlage, eine Fähigkeit, die auch die bestehende CH-53G Flotte der Bundeswehr besitzt und die aus dem Alltag der Truppe nicht wegzudenken ist. Auf Knopfdruck kann die CH-53K innerhalb von zwei Minuten die Rotorblätter anklappen und ebenso wieder spreizen, um danach direkt in den Flugdienst übergehen zu können. Das ist nicht nur für die sichere Handhabung der Maschine am Boden und im Gelände von elementarem Vorteil z.B. bei hohen Windgeschwindigkeiten, vielmehr reduziert sich der Bedarf an Abstellfläche deutlich, so dass mehr Maschinen pro Hangar untergebracht werden können. Ein unerlässlicher Vorteil insbesondere im Übergang von der CH-53G zum STH über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Wenn wir auf die zivil-militärischen Nutzungen schauen, fallen mir Hochwasserkatastrophen und Waldbrände ein, bei denen schwere Transporthubschrauber auch in Zukunft unerlässlich sein werden: Die CH-53K kann mit Abstand das meiste Löschwasser zum Einsatzort transportieren und auch mit einem Flug die meisten Menschen evakuieren.
Zusätzlich kann die CH-53K durch die integrierte Luftbetankungsanlage schon heute problemlos über große Distanzen verlegt werden und eine hohe Stehzeit im Einsatzgebiet sicherstellen. Unter anderem aus diesem Grund wird für die Luftwaffe das neue Betankungsflugzeug KC-130J beschafft, was explizit für die Luftbetankung der CH-53K bei Tag und Nacht ausgelegt ist.
ZL: Die Rotorfaltblattanlage wird in der Ausschreibung der Bundeswehr, wie man hört, gar nicht explizit gefordert… Warum eigentlich nicht, wenn man die Vorteile doch schon heute kennt?
Paul: Ich möchte hier auf keine detaillierten Inhalte der Ausschreibung eingehen. Die Frage müssen Sie an das BMVg richten. Ohne die Rotorfaltblattanlage wären auf jeden Fall umfassende und zeitintensive bauliche Maßnahmen an den STH Standorten notwendig und somit zusätzliche Kosten zu erwarten – das würde wahrscheinlich einen dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich über die Nutzungsdauer hinweg bedeuten.
ZL: Beim USMC ist die CH-53K als reiner Transporthubschrauber vorgesehen. In Deutschland soll er aber auch andere Rollen ausfüllen, für die Spezialkräfte und für Combat-Search and Rescue (C-SAR). Dafür werden in der Regel System wie passive und aktive Abwehrsysteme, Geländeverfolgungsradare, etc. eingerüstet. Wie bewerten Sie den Aufwand der Weiterentwicklung und Integration und die Gefahr von zeitlichen Verzögerungen? Welche Sub-Systeme sind bereits integriert, ggf. auch für andere Nationen?
Paul: Das USMC nutzt die schweren Transporthubschrauber (CH-53E/ CH-53K), auf Grund der operationellen Anforderungen, explizit als mehrrollenfähige (Multi-Mission) „Assault Support Helicopter“. Dieses Missionsprofil schließt explizit eine Vielzahl von Einsatzformen mit ein, unter anderem den Bereich der Spezialkräfte (SOF-Air) sowie den Anteil der bewaffneten Suche und Rettung (Combat Search and Rescue – CSAR). Genau diese Anteile finden sich neben dem taktischen Lufttransport, MedEvac und MilEvakOp Einsätzen sowie der Möglichkeit, auch von Schiffen zu operieren (Naval Cross-Deck Operations), auch in dem Leistungsprofil an einen neuen schweren Transporthubschrauber der Bundeswehr wieder. Die CH-53K verfügt dafür über eine Vielzahl von passiven und aktiven Selbstschutzmaßnahmen, u.a. ein modernes Directional-Infrared-Countermeasures (DIRCM) System zur Abwehr anfliegender Lenkflugkörper und die Möglichkeit, an drei Stationen 12,7mm (.50 cal) Maschinengewehre zu installieren. Zusätzlich werden weitere missionsspezifische Systeme des USMC, wie z.B. das Ground Proximity Warning System (GPWS) / Terrain Awareness Warning System (TAWS), genutzt bzw. bei Bedarf durch weitere deutsche Missionsausrüstung für diese Einsatzformen ergänzt. Durch die digitale Grundstruktur der CH-53K lassen sich solche Systeme entsprechend im Gesamtverbund integrieren und zertifizieren. Das Gesamtprojekt befindet sich im Zeitplan, um das gesetzte Ziel der ersten Einsatzverlegung des USMC mit der CH-53K im Jahr 2023/24 sicherzustellen. Die Rahmenbedingungen der stabilen Serienfertigung mit zusätzlichen Kapazitäten im Hauptwerk von Sikorsky, die Erfahrungen des USMC im Wechsel von einem alten Luftfahrzeug(CH-53E) zu einem modernen schweren Transporthubschrauber (CH-53K) sowie die Kenntnisse des deutschen STH CH-53K Industrieteams über die Anforderungen der Bundeswehr bilden eine hervorragende Grundlage für eine erfolgreiche Einführung der STH CH-53K Flotte in der Luftwaffe.
ZL: Aus dem Bereich der Spezialkräfte gibt es kritische Stimmen gegenüber der K, der Downwash sei zu stark, und dadurch Fast Roping nicht möglich. Dies ist für viele SOF-Operationen aber essenziell. Wie sieht Ihre Bewertung aus?
Paul: Ich habe mich darüber sehr gewundert: Beim U.S. Marine Corps wird die CH-53K genau für solche Einsatzformen genutzt werden. Auch die israelischen Streitkräfte, die ebenfalls einen Kauf in Betracht ziehen, haben die Maschine genau nach diesen Kriterien getestet und für geeignet befunden. Der angesprochene Downwash wird kein Problem sein, da dieser nicht substanziell größer ausfällt als beim Vorgängermodell. Hinzukommt, dass Hubschrauber bei SOF-Operationen, bei denen Fast Roping relevant ist, typischerweise nicht mit der maximalen Abflugmasse fliegen. In der Luftfahrzeugzelle der CH-53K sind aus diesem Grund die Aufnahmepunkte für das Fast-Roping-Verfahren bereits fest integriert (F.R.I.E.S – FAST ROPE INSERTION & EXTRACTION SYSTEM). Zusätzlich können weitere Systeme/Verfahren für die Verbringung von Spezialkräften genutzt werden wie z.B. S.P.I.E (SPECIAL PATROL INSERTION & EXTRACTION). Für die grundsätzliche Missionsdurchführung ist der große Laderaum zum gleichzeitigen Transport von Spezialkräften und ihren Fahrzeugen sowie die Möglichkeit der unmittelbaren Eigenverlegung und langen Stehzeit im Einsatzgebiet durch die integrierte Luftbetankungsanlage unerlässlich – ein entscheidendes Kriterium für die Durchführung von Missionen in weit entferntem und schwer zugänglichem Gelände in Zusammenarbeit mit der KC-130J der Luftwaffe.
ZL: Sie haben es erwähnt, auch Israel hat Interesse an der CH-53K als Nachfolger der vorhandenen CH-53. Auch dort würde sie im Bereich Spezialkräfte eingesetzt. Wie ist der Sachstand der Gespräche mit Israel und was würde es für das Angebot und ggf. auch die Lieferung an die Bundeswehr bedeuten?
Paul: Hier kann ich nur auf Sikorsky verweisen. Denn wir als Rheinmetall sind in dieses Projekt nicht involviert. Erlauben Sie mir aber eine Bewertung aus der Entfernung: Die israelischen Streitkräfte sind sehr darauf bedacht, auf Technologien der Zukunft zu setzen. Insofern wundert es mich nicht, dass die CH-53K auch hier in der engeren Wahl ist. Des Weiteren besteht seit langem eine intensive Ausbildungskooperation zwischen der israelischen und der deutschen Luftwaffe im Bereich der CH-53D/G Hubschrauberbesatzungen.
ZL: Welche Rolle könnte die CH-53K im Bereich Technologietransfer, Deutschlands operativen Ziele und der Stellung der Bundeswehr im multinationalen Rahmen bedeuten?
Paul: Deutschland spielt eine ganz entscheidende Rolle beim STH, auch wenn das Produkt selbst in den USA hergestellt wird. Sikorsky hat in kluger Voraussicht schon frühzeitig ein exklusives deutsches Team aufgebaut, welches auch in die Vorbereitung der Verhandlungen eingebunden wurde. Dazu gehören neben Rheinmetall auch Autoflug, Hydro, Reiser Simulation and Training und MTU. Alle diese Unternehmen stehen für deutsche Exzellenz, die gebraucht wird, um den Hubschrauber in den nächsten 40 Jahren erfolgreich zu betreiben. Mit dem STH-Projekt findet damit ein ganz erheblicher Technologietransfer statt. Aber nicht nur das: Es werden auch viele neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland entstehen.
Und operativ gesehen: Deutschland will international mehr Verantwortung übernehmen. Außerdem hat man sich im Rahmen der NATO Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) dazu verpflichtet, Kapazitäten im Bereich Lufttransport und MedEvac vorzuhalten. Einzig der CH-53K kann Deutschland diese Verpflichtungen voll umsetzen und auch weitere Fähigkeitslücken schließen. Zum Beispiel die Möglichkeit der bewaffneten Suche und Rettung mit Hubschraubern oder die Bergung von havariertem schwerem Gerät und anderen Luftfahrzeugen, oder auch der Transport von schweren Lasten unter extremen Bedingungen – Stichwort hot&high / sand&dust.
ZL: Welche Rolle wird die deutsche Industrie in der Zusammenarbeit mit Sikorsky einnehmen?
Paul: Rheinmetall wird über den gesamten Nutzungszeitraum der zentrale Ansprechpartner für die Bundeswehr sein und als Projektkoordinator langfristig die Verfügbarkeit der CH-53K gewährleisten. Des Weiteren ist Rheinmetall für den gesamten Betrieb, welcher auch die Lagerhaltung umfasst, und für die Ausbildung der Hubschrauberbesatzung einschließlich des technischen Personals verantwortlich Hierzu werden auch die Ausbildungsmittel wie z. B. Flugsimulatoren aus dem Hause Rheinmetall eingesetzt werden. Zu den weiteren exklusiven Partnern: MTU Aero Engines ist für seine Turbinen bekannt; die drei verbauten T408 Triebwerke sorgen für den Antrieb des Luftfahrzeugs, auch in herausfordernden Einsatzbedingungen. Autoflug stellt die für die Hubschrauberbesatzung so wichtigen Sicherheitssitze her. Schließlich wird Hydro für das gesamte Bodendienstgerät verantwortlich sein. Die Reiser Simulation and Training, als neustes Mitglied des Industrieteams um den STH, bringt Ihre Kompetenzen im Bereich der Ausbildungsmittel für die Ausbildung des technischen Personals ein. Gemeinsam mit Sikorsky haben wir ein Wartungs- und Operationskonzept erarbeitet, das in dieser Form einmalig ist und untermauert, wie eng hier zusammengearbeitet wird.
ZL: Was bedeutet dieses in genauen Zahlen für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Paul: Deutschland profitiert enorm vom STH-Projekt: Etwa zehn Prozent der Produktion und 70 Prozent der Wartungsarbeiten werden hierzulande stattfinden. Wir rechnen damit, dass bundesweit über die nächsten Jahrzehnte hinweg mehr als 500 neue und zukunftssichere Arbeits- und Ausbildungsplätze im Bereich Hochtechnologie entstehen werden. Alle Partner des deutschen STH-Teams von Sikorsky werden neue Jobs schaffen. Die ostdeutschen Bundesländer werden in besonderem Maße profitieren, denn bei Leipzig planen wir die Errichtung eines Logistikzentrums und eines Fleet-Management-Centers in unmittelbarer Nähe zum geplanten STH Einführungsstandort der Bundeswehr in Holzdorf. Der weitere Ausbau Leipzigs zu einem neuen Luftfahrtzentrum in Ostdeutschland wird auch weiteren Luftfahrtprogrammen zu Gute kommen.
ZL: Abschließend, warum ist die CH-53K die technisch bessere Lösung für die Bundeswehr?
Paul: Die CH-53K ist der beste Transporthubschrauber der Welt und damit eine Klasse für sich. Das hat die Maschine in allen Tests bewiesen. Moderne Technik, die mit über 80 Prozent garantierte Verfügbarkeit, Interoperabilität im Einsatz mit anderen NATO Systemen, sowie die grundlegenden Mehrrollenfähigkeiten als schwerer Transporthubschrauber stellen hierbei die entscheidenden Punkte für den Übergang zu einer zukunftsfähigen Luftfahrzeugflotte dar. Eine Entscheidung zugunsten der CH-53K ist für mich persönlich eine Frage der sicherheitspolitischen Vernunft: Mit Nostalgie werden wir nicht weit kommen. Wir brauchen Technologien, die über die nächsten 40 Jahre zuverlässig ihren Dienst verrichten sowie ausbau- und weiterentwicklungsfähig sind. Gerade für Deutschland als Rahmennation im „Framework Nations Concept“ in Europa und im transatlantischen Bündnis ist dieser Aspekt entscheidend. Mit der CH-53K wird Deutschland weitere Fähigkeiten in die Bündnisverpflichtungen einbringen und nicht nur ergänzen.
(Beitragsbilder: Rheinmetall Aviation Service/ Sikorsky)