Interview mit Dr. Tobias Lindner MdB (Obmann der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss)
Wo sehen Sie die größte Herausforderung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten 5 Jahren?
Deutschland verdankt seine Sicherheit zum Großteil seinen multinationalen Bündnissen und Verträgen. Der Multilateralismus steht aktuell mehr denn je unter Druck und wird von allen Seiten, aus unterschiedlichen Interessen, angegriffen. Ob innerhalb der EU – während der deutschen Ratspräsidentschaft – oder bei den Vereinten Nationen – als nichtständiges Mitglied im VN-Sicherheitsrat – muss sich die Bundesregierung stärker für Multilateralismus, Abrüstung und Vertrauensbildende Maßnahmen einsetzten.
Sie beschäftigen sich regelmäßig mit der Ausrüstung der Bundeswehr, wie können Ihrer Meinung nach die aktuellen Mängel behoben werden?
Viel zu häufig wird versucht die langwierige Beschaffung oder mangelhafte Ausrüstung mit mehr Geld zu beheben. Dabei muss die Bundeswehr viel mehr an der Ursache ansetzten. Zum einen sind im Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz seit Jahren tausende Stellen nicht besetzt, zum anderen beschafft die Bundeswehr häufig Waffensysteme, die derart hochkomplex sind, dass sie natürlich auch sehr störanfällig sind. Weniger Goldrand ist also genauso, wie eine bessere und schnellere Verwaltung ein zentraler Baustein zur Verbesserung der aktuellen Misere bei der Ausrüstung. Das Handgeld für Kommandeure funktioniert und zeigt, dass es auch bei der Bundeswehr schneller und unbürokratischer geht.
Kürzlich haben Sie sich zum Thema „Gorch Fock“ geäußert (Tobias hakt nach)- wie sehen Sie die Entscheidung zum Erhalt im Nachhinein?
Die Gorch Fock ist mittlerweile ein Fass, oder besser gesagt, ein Schiff ohne Boden. Ursula von der Leyen hatte sich bei der Gorch Fock am Ende für die Strategie „Augen zu und durch“ entschieden. Die Sanierung des Schiffs wurde wider besseren Wissens betrieben. Die neuesten Entwicklungen machen deutlich, wie schlecht die damaligen Entscheidungen waren. Mit einem Neubau wären der Bundeswehr peinliche Schlagzeilen erspart geblieben und die Soldatinnen und Soldaten könnten schon lange wieder auf einem schwimmenden Segelschiff ausgebildet werden.
Corona hat auch im Bereich der Bundeswehr Lücken in der Digitalisierung hinterlassen, können die Bundeswehr und die BWI diese Ihrer Meinung nach zeitnah schließen?
Deutschland hinkt bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich weit hinterher, die jahrelangen Versäumnisse sind nun während der Corona-Krise, ob beim homeshooling oder im homeoffice, überdeutlich geworden. Die Bundesregierung hat es jahrelang versäumt in die digitale Infrastruktur zu investieren. Angesichts der aktuellen Berichte zur IT-Konsolidierung des Bundes oder des siebten Änderungsvertrages zur BWI und meiner Erfahrung aus dem Untersuchungsausschuss habe ich leider nicht den Eindruck, dass bei der Digitalisierung vieles in die richtige Richtung läuft.
Wo werden Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit im Bundestag bis zum Ende der Wahlperiode legen?
Grundsätzlich steht in den kommenden Monaten die Bewältigung der Covid-19 Pandemie sowie die Bekämpfung der Klimakrise im Mittelpunkt.
Der Konsolidierungsdruck angesichts der Corona-Krise macht einen effizienteren Umgang mit Steuergeld im Verteidigungsbereich absolut notwendig. Als Großorganisation hat die Bundeswehr einen erheblichen CO2-Ausstoß. Richtige Entscheidungen können diesen signifikant verringern. Die Pariser Klimaziele liegen auch im wesentlichen Sicherheitsinteresse der Bundeswehr. Die Bundeswehr muss zur Erreichung der Ziele beitragen. Ein besonderes Anliegen ist mir der Kampf gegen Rechts – in der Gesellschaft und in der Bundeswehr. Alle Soldatinnen und Soldaten müssen mit beiden Beinen klar auf dem Boden des Grundgesetztes stehen. Für Rechtsextremismus darf es keinen Platz in der Bundeswehr geben.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
(Die Fragen stellte Christian Rump)
(Beitragsbild DBT/ von Saldern)